Ungarn: Holocaust-Leugnung, Hetze und Einschüchterung von Juden

Bodnár Dániel

Manfred Gerstenfeld interviewt Daniel Bodnar (direkt vom Autor)

Die Organisation TEV – deren Name mit Aktions- und Schutz-Stiftung übersetzt werden kann – wurde 2012 gegründet. Ihre Gründer sind die drei großen jüdischen Gemeinschaften: die Vereinigte Jüdische Gemeinde von Ungarn (die dem Chabad angehört) und zu der ich gehöre, der Bund der jüdischen Gemeinden in Ungarn – Mazsihisz, die neologisch ist – und die Sim Shalom-Reformgemeinschaft. Es bestand Bedarf für eine solche Organisation, weil es in Ungarn keine Daten gibt, die für eine vergleichende Analyse des Antisemitismus geeignet sind.

TEV begann Angriffe auf ungarische Juden entsprechend der vier Kriterien der OSZE zu beobachten: Gewaltverbrechen, Hass-Verbrechen, zu Handeln führendes Hassreden und Aufstachelung. All diese sind nach ungarischem Recht strafbar. Zusätzlich bietet TEV Opfern antisemitischer Taten juristische Hilfe.

Daniel Bodnar ist der Vorsitzende von TEV. Er wurde 1977 in Budapest geboren und studierte an der ELTE-Universität von Budapest. Er erhielt 1999 seinen M.A. Er war Price Fellow für politische Philosophie an der New School for Social Research in New York.

Derzeit ist die Hauptsorge der ungarischen Juden antisemitische Hetze und Holocaustleugnung im öffentlichen Diskurs sowie der Verfall des öffentlichen Diskurses. In der ersten Runde der Wahlen zur Nationalversammlung 2010 gewann die rechtsextreme und antisemitische Jobbik fast 17% der Stimmen. Sie ist mit 47 von 386 Sitzen die drittgrößte Partei in der Nationalversammlung. Mehrere ihrer Parlamentarier äußern sich extrem antisemitisch.

In den ersten sechs Monaten der Beobachtungsaktivitäten erstatteten wir in 27 Fällen Anzeige bei der Polizei. Sechzehn davon betrafen Holocaustleugnung und 11 antisemitische Hetze. Wir hatten keinerlei Anzeige wegen körperlicher Angriffe.

Die Gesetze gegen antisemitische Hetze in Ungarn gehören derzeit zu den besten in Europa. Das Problem besteht darin, dass die Behörden sie nicht anwenden. Noch schlimmer ist, dass das frühere Verfassungsgericht entschied, nur in Fällen direkter und klarer Gefahr gebe es einen Verstoß gegen die Aufhetzungsgesetze.

Gegen den Jobbik-Abgeordneten Marton Gyongyosi wurde Anzeige erstattet; dieser sagte 2012 in der Nationalversammlung, es sei „an der Zeit festzustellen, wie viele Menschen jüdischer Abstammung hier sind, besonders im ungarischen Parlament und der Regierung, die ein gewisses Risiko für die nationale Sicherheit Ungarns darstellen“. Die Staatsanwaltschaft entschied, dass dies nicht als Aufstachelung zu Hass gewertet werden könne. Das illustriert die Unzulänglichkeiten des ungarischen Justizwesens im Umgang mit wichtigen Fällen der Förderung von antisemitischem Hass.

Zusammen mit dieser Hetze der letzten sechs oder sieben Jahre ist die Qualität des öffentlichen rapide erodiert. Hassreden hat das ungarische Parlament und den öffentlichen Diskurs der Gesellschaft infiltriert. Im nationalen Lehrplan finden sich Texte von Autoren, die Nazis waren. Wir waren schließlich in der Lage zusammen mit zwei weiteren Unterhändlern der jüdischen Gemeinschaft zu erreichen, dass der neue Lehrplan eine Direktive enthalten soll, dass Lehrer erklären und kontextualisieren müssen, dass dies böse Menschen waren. Zusammen mit der ADL hatten wir den Erfolg, dass die Kuruc-Hassseite bei Facebook entfernt wurde. Sie ist seitdem nicht mehr für länger als jeweils ein oder zwei Tage wiedergekommen.

In Ungarn ist eine Hass-Infrastruktur aufgebaut worden. Man weiß nicht, wann und wie sie platzen wird. Gesetzgeber müssen auf die Realität des riesigen Hasses reagieren, der öffentlich vorangetrieben wird. Die derzeitige Regierung der mehrheitlich rechts von der Mitte angesiedelten Fidesz-Partei macht viele symbolische Gesten. Sie hat jedoch zweifellos unterschiedliche Ansätze und Sensibilitäten bezüglich Antisemitismus als die frühere sozialistische. Es ist unerlässlich, dass jede Regierung über symbolisches Handeln hinaus geht und die jüdische Gemeinschaft mit echten juristischen Mitteln ausstattet, um den Antisemitismus zu bekämpfen.

Es gibt in Ungarn schätzungsweise 100.000 bis 120.000 Juden. Fast alle davon sind entweder Holocaust-Überlebende oder deren Nachkommen. Juden sind in der ungarischen Politik lange Zeit politisch benutzt worden. Die Sozialisten nutzen die „Judenkarte“, indem sie sagten, die meisten Juden stimmten für sie. Diese Karte wird von der Rechten gewöhnlich zurückgespielt.

In einer Gesellschaft, in der es immer noch viele Tramuata aus der Vergangenheit gibt, bringt die extreme Rechte mehrere Behauptungen an. Eine betrifft das Stigma, dass in der Zeit des kommunistischen Regimes viele Parteiführer Juden waren und die meisten Juden die herrschende Partei unterstützten. Eine weitere ist, dass Juden dem ungarischen Staat gegenüber nicht loyal sind.

Ein wichtiges Problem besteht darin, dass die überwiegende Mehrheit der antisemitischen Vorfälle nicht berichtet wird. Menschen, die unter einem kommunistischen Regime lebten, sind in großem Maß zum Schweigen gebracht worden und diese Grundhaltung hält sich bis heute.

Bodnar schließt: Der derzeitige ungarische Antisemitismus ist hauptsächlich ein ideologischer und politischer. Wir begreifen, dass es sehr gefährlich werden kann, können aber nicht voraussagen, wozu es führen könnte. Heute richtet sich von der extremen Rechten verübte physische Gewalt in erster Linie gegen die 600.000 Mitglieder schwache Roma-Gemeinschaft. Viele glauben, ein größeres Hauptziel zu haben lenke Angriffe von ungarischen Juden ab. Doch der Rassismus und die Gewalt machen uns Sorgen. Die gegenwärtige Situation bietet keine Zusage einer besseren Zukunft, wenn sich nicht das juristische Rahmenkonzept zur Anwendbarkeit der Gesetze ändert.

Via heplev